Von Peter Lahr
Mosbach. "Ach ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst." Nein, dabei handelt es sich nicht um den Wortlaut der letzten Zwitschernachricht eines Operettenpräsidenten von jenseits des großen Teichs. Freunde der leichten Muse haben gleich erkannt, dass der Satz den "Ohrwurm" in Carl Millöckers Meisteroperette "Der Bettelstudent" abbildet. Am Dienstagabend präsentierte die "Johann-Strauss-Operette Wien" das 1882 uraufgeführte und mehrfach verfilmte Erfolgsstück in der Alten Mälzerei.
Unter dem klaren Dirigat von Petra Giacalone erlebten 450 Gäste ein nuancenreich agierendes Orchester, eine sangesfreudige Truppe in opulenten, historisch anmutenden Roben und als "Schlagobers" noch ein vierköpfiges Ballett. Kein Wunder, dass der Applaus nicht enden wollte.
Alles andere als "leicht" ist der historische Hintergrund, in den der Dreiakter eingebettet ist. Ist Krakau im Jahre 1704 doch von den Sachsen okkupiert. Und es wird schnell klar, dass die Sympathien des Komponisten nicht bei den Besatzern liegen. Doch das Bemerkenswerte ist die Musik, die sicher den überwältigenden Erfolg des "Bettelstudenten" ausmacht. Im Dreivierteltakt wird hier die Welt durch die Kraft der Liebe wieder in harmonische Bahnen gelenkt. Shakespeare lässt grüßen. Dass nichts so ist, wie es zunächst scheint, macht die Sache umso spannender für den Betrachter. Ein Adliger, der im Kerker vorgibt, ein Bettelstudent zu sein, der nun auf Wunsch einer sich für besonders schlau haltenden Obrigkeit vorgeben soll, ein Adliger zu sein. Mehr als pikant. Doppelbödig geradezu und mannigfaltige Tricksereien in Gang setzend.
Die Ursache aller Irrungen und Wirrungen in dieser flott inszenierten Verwechslungskomödie bildet besagter Kuss auf die Schulter. Den hat der sächsische Gouverneur Oberst Ollendorf (machtbesessen: Tenor Giorgio Valenta) auf dem Ball der hübschen polnischen Komtesse Laura (großherzig: Sopran Anja Markwart) angedeihen lassen. Jene ließ das Kompliment nicht auf sich sitzen, sondern schlug den Zudringlichen mit ihrem Fächer ins Gesicht. Vor allen Leuten. Welch Blamage! Geschlagen von einer Frau, ein Held, der mit 98 Stichwunden und 23 Schussverletzungen prahlen kann - Baron Münchhausen lässt grüßen. Begleitet wird der Held - was seine Lachhaftigkeit allerdings noch mehrt - stets von drei Offizieren (sächsisch stramme Baritons: Martin Ganthaler und Kevin Bulis; elegante Soubrette: Adrienne Lang).
Zu dritt agiert das schöne Geschlecht auf der Gegenseite: Bedacht auf ihren alten polnischen Adel, dabei blank wie eine Kirchenmaus, versucht Gräfin Nowalska (sonorer Mezzospran: Maida Karisik), zwei fette Fische für ihre Töchter an Land zu ziehen. Aber ohne Adelstitel geht dabei nichts. Und genau an diesem Standesdünkel setzt sie an, die Rache des Oberst Ollendorf. Dafür staffiert er die beiden "Bettelstudenten" aus dem Kerker als reichen Fürsten und dessen Begleiter aus. Zunächst sind Symon (großartiger Tenor: David Jagodic) und sein Freund Jan (spätberufener Tenor: Roman Pichler) damit einverstanden, winkt als Preis doch die Freiheit. Doch als das auserkorene Opfer auftaucht, ist es eine Liebe auf den ersten Blick. "Durch diesen Kuss sei unser Bund geweiht", verspricht die schöne Arie des nicht minder schönen Stimmpaares.
Auch die naschhafte jüngere Schwester Bronislawa (gibt sich gekonnt naiv: Sopran Anita Tauber) geht beim sich anbahnenden Paarreigen nicht leer aus. Bis hin zum Champagner aus Damenschuhen - eine weitere Spezialität der Operette - stimmt bei dieser liebevoll-zeitlosen Inszenierung von Peter Widholz einfach alles - und man schwebt gerne im Dreivierteltakt mit.