Von Debora Gruhler
Mosbach. Wie entsteht Gesundheit? Und wie kann man trotz der Belastungen in Alltag und Beruf gesund bleiben? Diesen und anderen spannenden Fragen widmet sich der Gesundheitswissenschaftler und -pädagoge Thomas Michael Haug in seinem Vortrag "Salutogenese - Vertrauen in sich selbst und das Leben" am Donnerstag, 18. Oktober, um 19.30 Uhr. Der Naturheilverein Mosbach und Umgebung lädt zum Vortrag mit anschließender Diskussionsrunde in das Kultur- und Tagungszentrum Alte Mälzerei ein. Vorab hat die RNZ dem Referenten einige Fragen gestellt.
Herr Haug, was kann man eigentlich unter "Salutogenese" verstehen und woher kommt dieser Ansatz?
Salutogenese kann mit "Gesundheitsentstehung" übersetzt werden. Es ist ein wissenschaftlicher Zugang, ein Modell sozusagen, das erklären will, wie Gesundheit eigentlich entsteht. Salutogenese tritt damit an ganz zentrale Fragen für das menschliche Leben heran: "Warum bleiben Menschen trotz vieler potenziell gesundheitsgefährdender Einflüsse gesund?" und "Wie schaffen sie es, sich von Erkrankungen wieder zu erholen?". Das Konzept wurde von dem Soziologen Aaron Antonovsky in den 1970er Jahren entwickelt.
Salutogenese beschäftigt sich also mit Gesundheit und nicht mit Krankheit?
Im Prinzip gibt es zwei wichtige Zugänge zur Gesundheits- und Krankheitsforschung. Der erste Zugang ist die Pathogenese, von griechisch "pathos" gleich Leiden. Dieser Zugang ist gut erforscht und beschäftigt sich mit den Risikofaktoren, warum Menschen krank werden. Er erklärt aber nur etwa die Hälfte des Einflusses auf Krankheit und Gesundheit. Die Salutogenese ist dahingegen ein jüngerer Zugang, der die Frage stellt: "Was hält Menschen gesund?".
Und was ist der Unterschied zwischen Pathogenese und Salutogenese?
Im Verständnis der Pathogeneseforschung stehen Risiken im Mittelpunkt, im Verständnis der Salutogenese vor allem Ressourcen - das sind alle Mittel, über die wir als Menschen im Alltag verfügen, um Anforderungen des täglichen Lebens besser bewältigen zu können. Ressourcen sind sehr vielfältig, sie reichen von einem stabilen Selbstwertgefühl bis hin zu einem unterstützenden Freundeskreis. Von Bildung und verfügbarem Einkommen bis zu einem Glauben, der einen trägt.
Antonovsky vermutete, dass eine positive Lebensorientierung dazu beitragen kann, dass ein Mensch gesund bleibt. Was bedeutet das konkret?
Im Verständnis von Antonovsky sind Gesundheit und Krankheit keine festen Zustände, in denen wir verharren, sondern zwei gegenüberliegende Pole eines gemeinsamen Kontinuums. Das, was nun darüber entscheidet, ob wir mehr in Richtung Krankheit oder Gesundheit unterwegs sind, ist im Konzept der Salutogenese von unserer Lebensorientierung abhängig. Je stärker wir unser Leben als stimmig empfinden, umso wahrscheinlicher wird es, dass wir auf dem Kontinuum in Richtung Gesundheit gehen.
Was bedeutet "stimmig"?
Stimmigkeit bedeutet, ein Gefühl des Vertrauens darauf zu entwickeln, dass die Herausforderungen im Leben für einen selbst halbwegs strukturiert und erklärbar erscheinen. Dass wir genügend Ressourcen zur Verfügung haben, um die Anforderungen des Lebens gut bewältigen zu können. Eine gesundheitsförderliche Lebensorientierung ist damit geprägt von Erfahrungen der Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit. Antonovsky nannte diese Trias den "Sense of Coherence" - dieses Kohärenzgefühl ist von zentraler Bedeutung für die Erklärung der Entstehung von Gesundheit.
Wie oft begegnen Ihnen Menschen, die die Ansätze der Salutogenese für Humbug oder Pseudo-Medizin halten?
Wenige bis gar keine. Die Bedeutung von Sinnerleben und guter Ressourcenausstattung ist für die meisten Menschen sehr anschaulich im Alltag nachvollziehbar. Allerdings sollte dieser Blickwinkel nicht als alleinige Erklärung für Gesundheit überstrapaziert werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass Salutogenese eine Ergänzung zur Pathogenese ist und kein Ersatz. Salutogenese lenkt den Blick auch auf politische und soziale Verhältnisse, Ungleichheitsverhältnisse u. s. w. Denn wer von Anfang im Leben mehr Unterstützung und Ressourcen zur Verfügung hat, der hat auch die besseren Karten im Hinblick auf die Entwicklung seines Kohärenzgefühls.
Es geht also vor allem um psychische und soziale Bedingungen von Gesundheit. Lassen sich mit der Salutogenese daher eher psychische als physische Probleme erklären?
Antonovsky bezeichnete sich selbst als Stressforscher. Wer über ein gutes Kohärenzgefühl verfügt, lässt sich von Stressoren nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Damit ist sein Zugang vor allem für den Bereich der psychischen Gesundheit von großer Bedeutung geworden. Im Hinblick auf die physische Gesundheit und den Einfluss des Kohärenzgefühls sind noch viele Fragen offen. Das stimmt.
Und wie begegnet dann das Konzept der Salutogenese vordergründig physischen Krankheiten wie Infektionen oder Gendefekten?
Der salutogene Blickwinkel kann auch bei Ihren Beispielen hilfreich sein: Wie wir mit diesen Krankheiten leben können, welche Unterstützung wir bekommen, welche Bedeutung wir darin sehen oder eben auch nicht, ist in einem ganz zentralen Punkt eine Frage unserer Ressourcenausstattung. Ein Mensch, der Zugriff auf eine gute Gesundheitsversorgung und Unterstützung hat, wird die Krankheit anders bewältigen können, als jemand der ihr hilflos ausgeliefert ist. Hier sehen wir sehr schön, wie Pathogenese und Salutogenese im Alltag zusammenspielen.
Zum Abschluss: Was kann der Besucher von Ihrem Vortrag am 18. Oktober erwarten?
Eine abwechslungsreiche und spannende Reise durch die Welt der Gesundheitsforschung, die sich offen mit den Grenzen der Machbarkeit von Gesundheit auseinandersetzt. Und: die Augen werden nicht vor den Folgen einer zunehmend statistisch bestimmten Präventionslandschaft verschlossen, sondern es werden auch deren Schattenseiten aufgezeigt. Am Ende möchte ich eine Brücke schlagen zwischen der Salutogenese und den Arbeiten von Viktor E. Frankl, der die Sinnthematik sehr alltagsbezogen aufbereitet hat.
Info: Karten gibt es im Vorverkauf bei Kindlers Buchhandlung.