Mosbach. (ub) Die Feder eines Füllfederhalters ist ja eigentlich ein Anachronismus heutzutage. Das Schreibgerät zierte - zusammen mit einem Mikrofon - Plakate und Tickets beim dritten Mosbacher Poetry Slam und war damit erstaunlich nah an der Realität. Denn was man aus einer der ersten Reihen in den Händen der Slammer sehen konnte, waren - handbeschriebene - Papierblätter, die allerdings nur wenig benutzt wurden. Das Mikrofon, es musste sein, sonst hätten die in den hinteren Reihen des "fideljo" nichts mehr verstanden.
Poetry-Slam, diese populäre Form des öffentlichen Dichterwettstreits, vermag insbesondere junges Publikum zu fesseln. Die dritte Veranstaltung dieser Art bescherte dem Begegnungszentrum der Johannes-Diakonie wiederum ein volles Haus; mehr als 200 Menschen (auch fortgeschrittenen Alters) erwiesen sich zudem als begeisterungsfähige und urteilsfröhliche Gesellschaft, die die Anrede von Moderator Daniel Wagner "Liebe An- und Verwesenden" nicht übel nahm.
"Verbales Zerfetzen" ist die Übersetzung, die Wagner wählte für die Poetenschlacht, die sich Mitte der 90er-Jahre von Chicago über die ganze Welt ausbreitete. Selbst mit diversen Poetry-Slam-Titeln ausgezeichnet, manövrierte der Heidelberger Publikum und Wettbewerber durch das kurzweilige Programm, machte Applaus- und gab Stichproben eigener Slamkunst, trug Wahlprogramm seiner (Die) Partei vor, interagierte mit den Leuten auf und vor der Bühne und war selbst das beste Beispiel dafür, was und wie Poetry-Slam ist: expressiv, ja, mitunter martialisch, temporeich, drastisch, hintersinnig, kurzweilig, sprachgewandt, was zusammen genommen in dem englischen Begriff "to slam" steckt: zuschlagen, zuknallen, jemanden ins Gesicht schlagen. Hier werden eigene Texte nicht vorgetragen, sondern dem Publikum förmlich um die Ohren gehauen.
Was Marvin Suckut als erster Slammer gleich in die Tat umsetzte. Der Konstanzer ist ein alter Poetry-Slam-Hase, widmete sich in vorösterlicher Zeit aber einem anderen Tier und lieferte einen derart rasanten Parforceritt des Weihnachtsgeschenke bringend Rentiers Rudolph ab, dass einem schon schwindelig werden konnte und mancher Wortwitz dabei auf der Strecke blieb - jedenfalls für die, die mit dem Hören nicht hinterherkamen. Kam aber bestens an und wurde mit Zwischenapplaus honoriert.
Apropos Applaus: der ist das Maß der Bewertung, um die es bei dem Wettstreit mit Worten geht. Daniel Wagner hatte das Publikum "eingeeicht" mit wiederholtem Probeklatschen, was es am Ende aber auch nicht leicht machte. Nach einem Applaus-Stechen stand schließlich fest: Marvin Suckut hatte in der zweiten Runde mit einer "Ästhetik von allem" Lacher und Klatscher auf seiner Seite. Sehr dicht gefolgt jedoch von Franzi Lepschies. Die Berlinerin mit Thüringer Wurzeln hatte mit ihren Sujets "Rassismus" und "Depression" alles andere als leicht verdauliche Kost zu bieten. Doch trotz der tief schürfenden Themen strahlten auch bei ihr Wortgewandtheit und Hintersinn.
Applaus-, also wertungstechnisch kaum weniger enthusiastisch wurden Marius Loy und Moritz Konrad vom Publikum gefeiert. Der Eine, Esslinger, ist - wie Suckut - Meister des Schnellsprechens wie auch baden-württembergischer Vizemeister 2018 im Poetry-Slam und hatte sich im fideljo als "eifriger Problembastler" des Rauchens und der Frage angenommen, wann eine Frage eine gute Frage ist. Der Andere, aus Karlsruhe nach Mosbach gekommen, war in die eigene Jugend- und Studentenzeit zurückgekehrt, hatte dabei Stockbetten- und Wohngemeinschaftserlebnisse wortwitzig verarbeitet.
Was den Slammern verboten ist - ihre Worte musikalisch zu verschönern - galt indes nicht für das Leipziger Duo "byebye". Olli Haas und Tim Luwig standen dem wort- und geistreichen Bühnengeschehen in nichts nach und lieferten mit so zeit- wie selbstkritischen Liedern besten Musik-Slam.
Dass der jungen Kultursparte Poetry-Slam um den Nachwuchs nicht bange sein muss, das bewies zum einen die große Popularität, die dieses verbale Kräftemessen genießt, zum anderen Annemarie Burger. Die Maschinenbau-Studentin der Dualen Hochschule Mosbach entschied den Publikums-Wortewettstreit für sich. Nicht mehr als vier Zeilen durften es sein; Burger gewann mit: "Knöllchen, Miete, Steuer, das sind finanzielle Ungeheuer. Doch das tut meinem Geldbeutel nicht weh, denn ich bin Student an der DHBW". Mehr solcher lokaler Slam-Poesie wünscht man sich für den nächsten Poetry-Slam in Mosbach.