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Flüchtlingssituation in Neckargerach: Es hat sich viel getan, es ist noch viel zu tun

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Von Moritz Mayer

Neckargerach. Das Jahr 2016 ist längst Geschichte, 2017 noch jung und doch voller Herausforderungen. Für die Gemeinden im Neckar-Odenwald-Kreis wird eine zentrale Herausforderung und Aufgabe im neuen Jahr bleiben: die Integration der Flüchtlinge in Beruf und Gesellschaft.

Als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor eineinhalb Jahren das Dublin-Verfahren für Syrer aussetzte, konnten diese in Deutschland bleiben und mussten nicht in den EU-Staat zurückgeschickt werden, in dem sie zuerst registriert wurden. Folglich stieg die Zahl der Asylsuchenden in den frühen Herbstmonaten stark an. "Als die erste syrische Familie unsere Gemeinde erreicht hatte, luden wir die Bewohner zu einer Infoveranstaltung ein", erklärt der Bürgermeister von Zwingenberg und Neckargerach, Norman Link, rückblickend. Nach der ersten Aufklärung gründete sich alsbald ein Asylkreis, der bis heute Bestand hat. Norman Link ist überzeugt: "Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer wäre eine Betreuung, wie sie in diesem Rahmen gewährleistet wird, schlicht nicht möglich."

Zum Helferkreis gehört unter anderem Gudrun Damms. Als sie erfuhr, dass die Gemeinde auf der Suche nach einer Lehrkraft ist, die bereit ist, den Flüchtlingen Deutschunterricht zu geben, kehrte sie aus dem Ruhestand zurück, um ehrenamtlich zu unterrichten. "Auch für mich, die jahrzehntelang Kindern und Jugendlichen Wissen vermittelte, war es eine ganz neue Situation", schildert Damms ihre ersten Stunden Sprachkurs. Verschiedenste Sprachen, unterschiedlichstes Bildungsniveau und ein Klassenzimmer mit über 30 "Schülern" unterschiedlichen Alters sind nicht gerade ideale Voraussetzungen, um den Asylsuchenden erfolgreich die deutsche Sprache zu vermitteln.

Hinzu kam, dass für die Teilnehmer alles um sie herum fremd war, auch die Mitglieder des Asylkreises. "Wir wollten ihnen zunächst nur helfen, sich in einer völlig anderen Welt zurechtzufinden und sie willkommen heißen", so die Pädagogin. "Der Sprachkurs ist für niemanden verpflichtend, er dient lediglich zur Vorbereitung auf den später folgenden Integrationskurs." Die Kinder kamen mit der unbekannten Sprache am besten zurecht, sodass mit der Zeit die Eltern ihre Söhne und Töchter übersetzen ließen. Doch nicht immer lief auch alles rund: Mitunter fehlte es auch mal an der Motivation oder der Teilnahmebereitschaft.

Inzwischen ist ein Jahr vergangen, die Flüchtlinge kennen sich durch etliche gemeinsame Aktionen untereinander, ein sozialer Zusammenhalt ist entstanden, unabhängig von Herkunft oder Religion. Der Sprachkurs ist deutlich übersichtlicher geworden. Rund ein Dutzend Männer und Frauen sitzen auf den (zu) kleinen Stühlen in der ehemaligen Grundschule in Neckargerach.

Nur an der Betreuung hat sich nichts geändert. "Ich fühle mich hier wirklich wohl. Wir bekommen viel beigebracht, sind in Sicherheit", sagt Rima Baschouka in noch etwas brüchigem, aber verständlichem Deutsch. Sie floh mit ihrer Familie vor eineinhalb Jahren aus Syrien vor der Terrororganisation "Islamischer Staat". "Als Christen hatten wir keine Chance zum Überleben", sagt sie. Ihr Vater, ihr Bruder und vier weitere Familienmitglieder waren in Syrien umgebracht worden, noch ehe sie sich auf den Weg nach Europa machen konnten. Gemeinsam mit den anderen Geflohenen lernt Rima Dinge, die für manch einen banal klingen mögen. Etwa, wie man einen Brief verschickt.

"Es ist eine entspannte Atmosphäre geworden. Niemand hat Angst, etwas falsch zu sagen", erläutert Gudrun Damms. Man verbessert sich sogar untereinander. "Somit motiviert man den anderen", fasst die Lehrerin zusammen.

Doch stolz sind nicht nur die Flüchtlinge auf ihre Sprachkenntnisse, auch der Asylkreis hat viel erreicht. Alle Flüchtlingskinder sind inzwischen an den Schulen im Umkreis untergebracht, von den jeweiligen Lehrern gibt es erfreuliche Rückmeldungen. Einige der erwachsenen Flüchtlinge arbeiten auf dem Bauhof der Gemeinde oder beim örtlichen Bauunternehmen HLT, zum Teil mit Aussicht auf einen dauerhaften Arbeitsvertrag (sofern dieser nicht schon besteht).

Doch noch wartet einiges an Arbeit auf den Gemeinderat von Neckargerach und Zwingenberg und Bürgermeister Link. "Wir sind froh darum, wie bislang alles funktioniert hat. Ohne die vielen Helfer wären wir nicht da, wo wir sind. Zeit zum Ausruhen bleibt für uns aber noch lange nicht." Herausforderungen sieht Link darin, Wohnraum für Einzelpersonen zu schaffen. Zudem soll Flüchtlingen, die noch nicht an einem Integrationskurs teilgenommen haben, ein solcher ermöglicht werden. Feste Arbeitsverhältnisse zählen ebenfalls zu den Zielen, um die Integration in die Gesellschaft und im Berufsleben zu vollziehen, Flüchtlinge dauerhaft in der Gemeinde zu halten.

Auch Rima Baschouka möchte hier bleiben, möglichst als Erzieherin arbeiten. Das hat sie damals schon, als die Waffen in Syrien noch schwiegen und man nicht jede Nacht mit Angst ins Bett gehen. Fünf Jahre ist das nun schon her ...


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