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Infoabend in Mosbach: Wie sicher ist Afghanistan?

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Mosbach. Die Frage "Ist Afghanistan sicher?" stand im Mittelpunkt eines Informations- und Diskussionsabends des Diakonischen Werks, zu dem sich ein breites Publikum aus interessierten Bürgern sowie Haupt- und Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit im Mosbacher Martin-Luther-Haus versammelte.

"Aktuell leben 272 Menschen aus Afghanistan im Neckar-Odenwald-Kreis, davon sind 169 im Asylverfahren", brach Diakonie-Geschäftsführer Guido Zilling das Thema auf die Region herunter. Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh betonte in einem Grußbrief zur Veranstaltung: "Es ist uns als Kirchen wichtig, dass in einer Einzelfallprüfung geklärt wurde, ob ein Mensch in dem Land, in das er abgeschoben wird, sicher ist und in Würde leben kann. Im Blick auf Afghanistan sind wir in dieser Frage derzeit anderer Meinung als die Bundesregierung."

Die Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle ging in ihrem Fachvortrag auf das Leben und die Sicherheitslage in Afghanistan ein, insbesondere für Rückkehrer aus Europa. Aufgrund ihrer Forschung lebte sie ein gutes Jahr dort. Die prekäre Sicherheitslage, große Armut und Versorgungsnot müssten von den Bearbeitern der Asylverfahren in den Blick genommen und als Grundlage der Bewertung des Schutzgesuches dienen, lautete ihre Forderung.

Moderiert von der Journalistin Kirsten Baumbusch, diskutierten im Anschluss neben Friederike Stahlmann auch der Jurist Jürgen Blechinger von der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Afghane Ali Soltani, Sprecher des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, sowie Hans-Ulrich Sckerl, Innenpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion, das Thema.

Die Podiumsdiskussion eröffnete weitere Einblicke in die Anhörungs- und Abschiebepraxis, aktuelle Rechtsprechung und die Situation der Rückkehrer in Afghanistan. Die Kernthese Ali Soltanis lautete: "Auch wer es nach Deutschland geschafft hat, findet keine Ruhe. Es gibt große Ungerechtigkeiten im Asylverfahren." Er berichtete von verzweifelten Landsleuten, die sich aufgrund der Unsicherheit das Leben nahmen oder es versuchten.

Jürgen Blechinger berichtete von zwei Fällen aus der Region, bei denen die Abschiebungen kurz vor dem Abflug verhindert wurden. "Aktuell findet eine Verschiebepraxis statt", so Blechinger. "Viele der vom Bamf bearbeiteten Afghanistan-Fälle landen vor den Verwaltungsgerichten. 85 Prozent davon werden gekippt." Blechinger sprach sich für eine humanitäre Bleibeperspektive für Afghanen aus, die Integrationsleistungen würdige. Hierzu müsse die Landesregierung den nötigen Rahmen schaffen.

MdL Sckerl verwies darauf, dass es Aufgabe der Ausländerbehörden sei, Altfälle zu prüfen, um Kettenduldungen in andere Bleiberechte umzuwandeln. Zudem hätten die Grünen im Mai bereits eine Neubewertung der Sicherheitslage gefordert. Sckerl wünscht sich "mehr Druck aus der Zivilgesellschaft". Er sprach sich für die vorläufige Aussetzung der Abschiebungen aus und betonte, dass Baden-Württemberg derzeit keine Afghanen in Abschiebeflugzeuge setze. Auch er betonte, dass Menschen, die hier bereits verwurzelt seien, nicht in das gefährliche Land zurückgeschickt werden sollten.

Wichtig sei die individuelle und rechtsstaatliche Prüfung der Einzelfälle durch das Bamf, betonte Stahlmann: "Es kann nicht sein, dass es eine Glücksfrage ist, ob ich mein Recht bekomme."

Kritische und besorgte Nachfragen der Zuhörer machten deutlich, dass man derzeit das Vorgehen der Behörden kaum noch einschätzen könne. Ein Afghane aus Schwäbisch-Hall schilderte seine Situation. Da er keine Geburtsurkunde vorlegen kann - was für Afghanen grundsätzlich unmöglich sei -, habe er keine Arbeitserlaubnis mehr.

Nancy Gelb, Beauftragte für Flucht und Migration der beiden evangelischen Kirchenbezirke im Landkreis und Organisatorin des Abends, verlas schließlich die "Mosbacher Erklärung" mit den Forderungen der evangelischen Kirchenbezirke Mosbach und Adelsheim-Boxberg sowie des Diakonischen Werkes im Neckar-Odenwald-Kreis.

Insgesamt wurde der Abend als informativ und gewinnbringend erlebt: "Der Vortragsstil von Frau Stahlmann war sehr berührend und gleichzeitig inhaltlich klar und gut recherchiert", resümierte Dr. Susanne Herberg, ehrenamtlich Aktive in der Flüchtlingsarbeit.


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