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Bundestagskandidaten zu "Jamaika": "Das nutzt unserem Land gewiss nicht"

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Von Heiko Schattauer

Neckar-Odenwald-Kreis. Vier Wochen zähe Verhandlungen und dann das: Kurz nach Mitternacht gibt Christian Lindner am Montag vor versammelter Presse bekannt: Wir sind raus. Die FDP hat die Koalitionsverhandlungen abgebrochen. Warum man nach wochenlangem Austausch ausgerechnet mitten in der Nacht zu Erkenntnis kommt, dass es (so) nicht weiter geht? Es erschließt sich dem verwunderten Politikbeobachter nicht. Das Ergebnis bleibt. Fast zwei Monate nach der Bundestagswahl steht Deutschland ohne Regierung da. Vor dem aktuellen Hintergrund hat die RNZ bei den Kandidaten für die Bundestagswahl aus der Region nachgefragt, sie um eine Einschätzung der Lage gebeten.

Alois Gerig (CDU):

"Der Abbruch der Jamaika-Sondierungen nützt unserem Land gewiss nicht: Die Regierungsbildung rückt in weite Ferne, Entscheidungen bei Bildung, Digitalisierung, Zuwanderung und ländlichem Raum kommen nicht voran. Dies ist umso bedauerlicher, weil die Sondierungen auf gutem Wege waren. Nachdem die FDP ihrer staatspolitischen Verantwortung nicht gerecht wurde, ist nun die SPD gefordert. Auch wenn die Mehrheitsverhältnisse schwierig sind, sehe ich die Parteien in der Pflicht, eine stabile Regierung zu bilden. Die CDU ist bereit, Kompromisse einzugehen und Verantwortung für unser Land zu übernehmen."

Dr. Dorothee Schlegel (SPD):

"Die großen Linien, nämlich der Erhalt unserer Demokratie und die soziale Gerechtigkeit, haben mir bei der Vorbereitung auf eine Regierung gefehlt. Themen wie Europa, Rente oder Arbeitsmarkt hatten kaum Stellenwert. Frau Merkel war nicht in der Lage, eine Koalition aus Besserverdienern und Besserwissern zu bilden. Die Verweigerungshaltung der FDP schadet der Demokratie. Die SPD hat sich deutlich gegen eine Neuausgabe der Große Koalition ausgesprochen, die ja am 24.9. abgewählt wurde. Fazit: Dann muss es eben Neuwahlen geben."

Carina Schmidt (FDP):

"Ich persönlich bedauere es zutiefst, dass die Sondierung keine erfreulicheren Ergebnisse gebracht hat. Als FDP sind wir für echte Trendwenden in unserem Land angetreten, um echte Reformen bei Bildung, Einwanderung, Finanzen, Rente und Digitalisierung zu erreichen. Der Eindruck, Jamaika sei kurz vor dem Durchbruch gestanden, entspricht nicht den Tatsachen. Es waren noch über 100 Punkte offen. Wir haben zahlreiche Angebote zum Kompromiss unterbreitet. Es hat sich aber gezeigt, dass die Gesprächspartner keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung unseres Landes und keine gemeinsame Vertrauensbasis entwickeln konnten. Den Geist des Sondierungspapiers können wir nicht verantworten. Wir werden unsere Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind. Wir regieren lieber nicht, als falsch."

Rolf Grüning (Linke):

"Es hat sich ja angedeutet, dass das wohl nichts wird, dass die Unterschiede zwischen den möglichen Koalitionspartnern doch zu groß sind. Überrascht hat mich allerdings, dass sich dann ein Einzelner hinstellt und sagt, es geht so nicht. Nun bleibt abzuwarten, wie es weitergeht. Ich hoffe, dass die SPD zu ihrem Wort steht und sich nicht doch noch auf eine Große Koalition einlässt. Da würde die Glaubwürdigkeit ja völlig verloren gehen. Am wahrscheinlichsten sind wohl Neuwahlen. Auch wenn ich glaube, dass bei Jamaika noch nicht das letzte Wort gesprochen ist."

Charlotte Schneidewind-Hartnagel (Grüne):

"Die FDP hat für sich erklärt, die Verhandlungen abzubrechen. Für uns war das sehr überraschend, da wir bis zum Schluss die Chance gesehen haben, zusammen zu kommen. Wir hatten den Wählerauftrag, bei schwierigen Mehrheitsverhältnissen über eine Koalition zu verhandeln, große Zukunftsfragen wie Klimaschutz, Bildung oder Flüchtlingspolitik mutig anzupacken. Keine Partei kann in einer solchen Konstellation 100 % durchsetzen. Es kann nur funktionieren, wenn jeder inhaltliche Zugeständnisse macht. Wir haben weit über unsere Schmerzgrenzen hinaus sondiert und müssen nun zur Kenntnis nehmen, dass die FDP dazu nicht bereit war. Wir bedauern das. Über den weiteren Fortgang werden wir Grünen am kommenden Wochenende auf unserem Parteitag in Berlin beraten."

Dr. Christina Baum (AfD):

"Mit dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen sollte Frau Dr. Merkel nun aus Verantwortung für unser Land das einzig Richtige tun: ihren Rücktritt erklären. Warum Herr Lindner die Verhandlungen so lange herauszögerte, bleibt sein Geheimnis. Mit Jamaika ist auch der Wiederaufstieg der FDP gescheitert. Es wird dringend Zeit für Neuwahlen und eine wahrhaftige, alternative Politik. Unsere fleißigen Menschen haben Politiker verdient, die bereit sind, mit Vernunft die echten Probleme in Angriff zu nehmen."

Alexander Gebhardt (ÖDP):

"Der Rückzug der FDP hat mich schon ein bisschen verwundert, da es ja zuletzt so aussah, als sei man doch weitergekommen. Ich persönlich wäre aufgrund der aktuellen politischen Konstellation für eine Fortsetzung der Großen Koalition. Das wäre in der jetzigen Lage eine vernünftige Lösung, denn eine Minderheitsregierung dürfte unheimlich schwierig werden. Und auch Neuwahlen wären in 60 Tagen eigentlich kaum realisierbar."


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