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Schwächt das neue Pflegestärkungsgesetz die Pflege?

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Von Stephanie Kern

Neckar-Odenwald-Kreis. Am 1. Januar ist nicht nur der erste Tag des neuen Jahres. An diesem Tag werde sich auch die Gesamtsystematik der Pflegeversicherung "grundlegend verändern", wie Peter Maurus, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Neckar-Odenwald, gestern in einem Pressegespräch zum zweiten Pflegestärkungsgesetz betonte. Dafür werden die Pflegestufen in Pflegegrade umgewandelt, an Demenz erkrankte Personen werden besser gestellt, und es gelte der Grundsatz "ambulant vor stationär". Die großen Verlierer der Reform seien die vollstationären Einrichtungen und deren Bewohner, ist Peter Maurus überzeugt.

Das Pflegegeld für häusliche Pflege wird (teilweise deutlich) aufgestockt. Von 316 bis 901 Euro reichen die Beträge, die in Anspruch genommen werden können, wenn Angehörige oder Ehrenamtliche die Pflege übernehmen. Kombinierbar ist dieses Geld mit den Pflegesachleistungen für häusliche Pflege, die ambulante Pflegedienste anbieten. Auch hier gibt es teilweise deutliche Steigerungen. "Das Budget wird erhöht, ob es auch eingesetzt wird, bleibt abzuwarten", meint Maurus. Denn immer mehr Menschen sähen das Pflegegeld als Aufstockung für die Rente - und verzichten deshalb sowohl auf die Unterbringung im Heim als auch auf die Pflege durch ambulante Dienste. "Über dem ambulanten Bereich wird das Füllhorn ausgeschüttet. Aber mit welchen Konsequenzen?", fragt Maurus.

Er und Karin Hofmann, Fachbereichsleiterin Pflege bei der Awo, sehen eine politisch gewollte Verschiebung zur ambulanten und häuslichen Pflege. Durchaus auch verbunden mit Nachteilen für die Betroffenen und deren Angehörige. Maurus: "Wenn man merkt, es geht nicht mehr, sollte die Tür offen sein für den Schritt ins Heim. Aber das wird mit dieser Reform verhindert." Denn die Leistungen der Pflegeversicherung bei vollstationärer Pflege werden nur geringfügig erhöht oder sinken gar. So werden für einen Patienten, der heute in Pflegestufe 2 eingestuft ist, aktuell 1330 Euro bezahlt. Nach Inkrafttreten der Änderungen und der Umrechnung in Pflegegrad 3 wird ein Pflegeheim für diesen Patienten noch 1262 Euro abrechnen können. Gleichzeitig müssen vollstationäre Einrichtungen von allen Betreuten einen einheitlichen Kostensatz verlangen - ganz gleich, in welchen Pflegegrad dieser eingestuft wurde und wie viel Mehraufwand seine Betreuung bedeutet.

Karin Hofmann meint dazu: "Die jetzige mittlere Pflegestufe 2 ist für uns schon interessant. Denn diese Menschen können sich auch noch beteiligen. Aber alles unter Pflegegrad vier wird dann schwierig." Weil die ambulante Pflege gestärkt werde, entstehe eine neue Dynamik, ist man bei der Awo überzeugt. 172 Pflegeheimbetten hat sie im gesamten Kreis und ist somit einer der größten Anbieter. Da hat eine solche Reform dann auch große Auswirkungen: "Wir haben eine Kalkulationssicherheit von nur noch etwa einem halben Jahr. Danach erwarten wir im Bereich unserer Pflegeheime Umsatzverluste von vier bis fünf Prozent", sagt Peter Maurus.

Besonders wenn sich die Befürchtungen bei der Einteilung in die Pflegegrade bestätigen. Bisher "Eingestufte" haben zwar Bestandsschutz, alle, die erst ab 1. Januar 2017 eine Einstufung beantragen, werden nach einem neuen System direkt in die neuen Pflegegrade eingestuft. "Da sehen wir die Tendenz, dass es mehr Ablehnungen und schlechtere Einstufungen geben wird", sagt Elvira Hofmann. Denn es könnte eine Kostenexplosion auf ambulanter Seite drohen - deshalb wäre anzunehmen, dass man bei der Einstufung "langsam machen" werde.

Es wird auch nach neuem System bewertet: Die Selbstständigkeit in verschiedenen Lebensbereichen wird bewertet. "Und das ist sehr subjektiv", meint Hofmann. Für die, die auf die neuen Pflegegrade "umgerechnet" werden, erwartet Maurus eine Verbesserung. Für alle, die Pflegeleistungen neu beantragen, befürchtet er "ein böses Erwachen".

Das könnte es nach Meinung der beiden Pflegeexperten auch für die zu Pflegenden selbst geben. "Ich glaube nicht, dass alles dort ankommt, wo es soll", sagt Hofmann und meint, dass das höhere Budget für ambulante Leistungen verpufft, wenn die Menschen das höhere Pflegegeld abrufen. "Und man straft den stationären Bereich ab", so Hofmann. Maurus formuliert es noch treffender: "Das Pflegestärkungs- könnte auch ein Pflegeschwächungsgesetz werden!"


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