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"Alltagmenschen" Mosbach: Den Menschen den Spiegel vorhalten

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Von Peter Lahr

Mosbach. Es war ein hochsommerlich heißer Julitag, an dem Christel Lechner zusammen mit ihrer Tochter und einem tatkräftigen Helferteam ihre "Alltagsmenschen" in der Altstadt platzierte. Kaum waren die neuen "Mosbacher-Sommer"-Bewohner auf Zeit vor Ort, blieben Menschen stehen, machten Selfies und bedachten Christel Lechner mit fröhlichen Willkommensgrüßen. Einige Fans waren extra gekommen, um die "Mutter" der Alltagsmenschen kennenzulernen. Nach getaner Arbeit beantwortete die unternehmungslustige Künstlerin ganz entspannt die Fragen der RNZ.

Wieso stehen ihre "Alltagsmenschen" genau da, wo die Menschen leben, nämlich mitten in der Stadt, frei zugänglich und mehr oder weniger in Lebensgröße?

Seit 17 Jahren trete ich im öffentlichen Raum auf. Ich habe dabei die Idee, dahin zu gehen, wo die Leute sind. Denn ich will die Leute erreichen, die Schwellenangst haben, in eine Galerie zu gehen.

Verfolgen Sie mit ihren Skulpturen ein bestimmtes Ziel?

Ich will den Menschen mit einem Lächeln den Spiegel vorhalten.

Sie bespielen diesen Sommer schon zum zweiten Mal Mosbach und wurden schon beim Aufstellen überall mit großem Hallo begrüßt. Ihre Idee scheint ein Selbstläufer zu sein - gerade im Selfie-Zeitalter. War das immer schon so?

Am Anfang musste ich mich sehr bemühen, die Idee zu entwickeln. Die erste Stadt, in der ich ausstellen konnte, war die Stadt, in der ich lebe. Dann kam meine Heimatstadt und als drittes Kaiserslautern. Seitdem schwebe ich auf einer Wolke der Freude. Jetzt kommen wir gerade aus Braunschweig.

Ihre Figuren schwanken in der Größe. Die meisten sind leicht überlebensgroß. Ist die Dimension für ihre Arbeit maßgeblich?

Anfangs waren meine Alltagsmenschen etwas kleiner. Es entwickelte sich im Lauf der Zeit. Auch die Statik und die Bewegungen entwickelten sich im Lauf der Zeit weiter. Generell sind die Einzelfiguren größer: Die Putzfrau misst 2,10 Meter. Ich habe mir die richtige Größe lange überlegt. Aber es bedarf einer skulpturalen Überhöhung, sonst gehen sie unter. In einer Gruppe können die einzelnen Figuren auch kleiner sein.

Apropos Gruppe. Vor dem Mosbacher Rathaus spielt eine ganze Meute "Reise nach Jerusalem". Wie haben Sie das Ensemble entwickelt - von der Idee bis zur Realisierung?

Mit meinem ganzen Team - inklusive Bauarbeitern und Enkeln - haben wir am Anfang wirklich auf der Wiese vor dem Atelier "Reise nach Jerusalem" gespielt und alles gefilmt. Danach schuf ich einzelne Zeichnungen und Tonmodelle. Die 16 Figuren entstanden in einem Jahr Arbeit.

Ihre Figuren verfügen über eine immense Körperfülle und strahlen eine ebenso große Gelassenheit aus. Ist das Absicht?

Es ist dabei ganz wichtig, dass man etwas Gerundetes hat. Die Leute entsprechen in ihren Proportionen den alltäglichen Menschen. Ich will das Alltägliche. Ich will keine langbeinigen, durchoptimierten Fotomodels. Genau das ist der Fokus!

Alle Alltagsmenschen scheinen ihre Gefühle voll im Griff zu haben, oder gibt es auch wütende Alltagsmenschen?

Nein, wütend ist niemand. Wenn wir Nachrichten hören, hören wir genug Negatives. Ich will, dass man lächelt, wenn man morgens durch die Stadt geht. Probleme gibt es ja überall genug. Dass ich von anderen Künstlern in der Luft zerrissen werde, ist mir egal. Ich habe meinen Weg gemacht.

Ihre Alltagsmenschen werden ja mitunter auch ganz real attackiert. Beschädigungen gehören zum Alltag. Was empfinden Sie dabei?

Es wird immer so sein im Leben, dass man Beine gestellt bekommt. Klar macht mich das manchmal traurig. Aber dann müsste man ja ganz damit aufhören. Und das war für mich nie eine Option. Generell hat es sich etwas beruhigt. Man steckt aber einfach nicht drin. Ich will ja etwas zum Anfassen schaffen, dass es keine Distanz zwischen Kunstwerk und Betrachter gibt. Damit muss man einfach leben.

Können Sie uns noch ein paar technische Daten zu ihren Kreaturen nennen?

Sie wiegen zwischen 90 und 120 Kilogramm und sind bis zu 2,10 Meter groß. Es gibt etwa 150 verschiedene Alltagsmenschen. Alle, die ich neu mache, behalte ich. Sie sind schon immer bemalt, anfangs mit Kreide nun mit Acryl.

Ihre Figuren bestehen ja aus Beton. Welche Lebenserwartung haben denn die Alltagsmenschen?

Es gibt noch zahlreiche Skulpturen aus meiner Anfangszeit vor 20 Jahren. Die Alltagsmenschen sind also sehr robust und halten jeder Witterung stand. Sie können auch im Winter im Freien stehen bleiben.

Viele Künstler haben irgendwann Raumprobleme. Wo überwintern denn die Alltagsmenschen?

Meine eigenen Alltagsmenschen verbleiben in einem Lager ganz in der Nähe meiner Werkstatt. Ich stelle zumeist von Frühjahr bis Herbst aus - manchmal jedoch auch im Winter. Von Januar bis März 2018 sind die Alltagsmenschen in Hamburg im hit-Technopark zu sehen.

Haben Sie einen Lieblings-Alltagsmenschen?

Nein. Sobald eine Arbeit abgeschlossen ist, wende ich mich der nächsten zu. Ich habe noch viele Ideen, die ich gerne umsetzen möchte.

Info: Die "Alltagsmenschen" von Künstlerin Christel Lechner sind noch bis Sonntag, 5. November, in der Mosbacher Altstadt zu sehen. Über die genauen Standorte informiert ferner ein Faltblatt der Großen Kreisstadt Mosbach.


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