Von Brunhild Wössner
Mosbach. "Der Geist ist konservativ, das Fleisch liberal." Dem Mosbacher Publikum klingelten gehörig die Ohren, als der Schweizer Kabarettist Andreas Thiel im "fideljo" seine bitterbösen Geschichten entwickelte. Wenn er etwa Angela Merkel als "Vakuum" bezeichnet, "das die Macht ausfüllt" und danach nahtlos zum "Überfall" kommt, den er als "Lenkungsabgabe in Höhe des Kassenbestandes" sieht. Er springt mit messerscharfen Formulierungen und philosophisch frechen Texten thematisch von der Politik über die Religion bis zur Wirtschaft und wieder zurück. Dabei verliert er weder seine stilistische noch seine optische Fasson in Form eines sehr standhaften regenbogenfarbenen Irokesenschnitts.
In einer Zeit, in der Unternehmenslenker sich gerade weniger zugeknöpft geben, hält er in dieser Hinsicht die Fahne hoch, erlaubt sich aber gerade deshalb ein wortgewandtes Plädoyer für Gedankenfreiheit. Was andere mit offenem Hemdkragen nicht mal ansatzweise schaffen, nämlich sich den Mund weder von Politikern noch von toten Propheten verbieten zu lassen, gelingt Thiel mit Charme und Eleganz in seinem Bühnenprogramm "Humor". Im Lichte des Sektkühlers, wo sich Thiel immer mal wieder bedient und auch großzügig ans Publikum ausschenkt, legt der Kabarettist sein persönliches Gedankenkino dar. Groteske Bilder jenseits der Political Correctness treten zu Tage, wenn etwa der Pfarrer den Messwein zurück in den Kelch spukt, weil der nach Kork schmeckt.
Jetzt hatte Thiel, der Schweizer mit perfektem Hochdeutsch, ausgerechnet in Mosbach seinen letzten öffentlichen Auftritt. Das Publikum trug ihn dafür buchstäblich auf Händen und erklatschte sich ganze vier Zugaben. Als dann die Vorstellung zu Ende war, war auch bei Thiel das Glas nicht mehr halb voll, sondern richtig leer. Dass in Mosbach seine 20-jährige Bühnenkarriere zu Ende ging, sei "Zufall", antwortet der 1971 geborene Thiel auf Nachfrage der RNZ. Dem nach eigenem Bekunden "liberalen Satiriker" ist "der Ärger zu viel" geworden.
Der Bühnenabschied ist Thiels persönliche Reaktion auf eine Welt, in der Menschen wegen ihres Humors angeklagt, eingesperrt und erschossen werden. Er selbst hat Morddrohungen gegen sich und seine Familie erhalten. Erst kürzlich war bei einem seiner Auftritte in Roth bei Nürnberg aufgrund eines Internet-Posts mit bedrohlichem Inhalt in arabischer Sprache wieder die Polizei anwesend und nahm Handtaschenkontrollen vor. In der Unterhaltungsbranche "Checks zu machen wie am Flughafen" findet der Satiriker "blöd", und das Publikum unter Polizeischutz zum Lachen zu bringen, scheint für ihn keine Alternative zu sein. Zudem würden zwei Drittel aller Schweizer Theater ihm die Bühne für seine Auftritte verweigern, und auch der Buchhandel schneide ihn.
Zum Kabarett war er gekommen, als der Künstler während seiner Zeit an der Schauspielschule festgestellt hatte, dass er besser schreibt als schauspielert. Ein kleines Hintertürchen lässt er sich freilich offen: Gelegentliche hobbymäßige Bühnenauftritte könne es vielleicht ab und an geben. Ansonsten konzentriert er sich jetzt auf sein Filmprojekt, an dem er seit zwei Jahren arbeitet und für das er das Drehbuch geschrieben hat. Nachdem er als Produzent nun das notwendige Kapital beisammenhat, stellte er die Fertigstellung für 2020 in Aussicht.
Thiel, Schweizer in dritter Generation mit jüdisch-deutschen und katholisch-österreichischen Wurzeln, kündigt eine Filmkomödie zu Themen mit ernstem Hintergrund wie Freitod, Sterbehilfe, militanten Veganismus, Migration und Terrorismus an. Man darf gespannt sein, wie das alles auf einen Streifen passt. Zutrauen mag man es dem Komödianten, der als Satiriker Ironie, Zynismus und Sarkasmus souverän mischt und Comedians als "Schamgrenzenverletzer" bezeichnet.
Der bekennende Vegetarier resümierte, dass die Mosbacher an diesem Abend etwas erlebten, "was nicht wieder kommt". Beispielsweise beste Realsatire nach der Pause, als er einen Klappentext des Managementkontextes der St. Galler Wirtschaftsfakultät zum Besten gab. Der Text klingt wie ein Stück aus Absurdistan, und solche Kabinettstückchen nicht mehr präsentiert zu bekommen, das stimmt richtiggehend wehmütig. Für Thiel ist die Sache klar: "Der normale Mensch fühlt sich überfordert und muss lachen. Und die, die sich das Lachen verkneifen, haben Respekt vor der Bedeutung dieser Universität." Und dies völlig ohne Grund, wie der Sprachakrobat vorführt, als er den aus lauter Worthülsen bestehenden Bandwurmsatz sprachlich seziert. Auf diese Weise gibt er die Political Correctness, die für ihn ohnehin bloß "die Rache der Humorlosen" ist, der Lächerlichkeit preis.